Was tun, wenn’s kracht?

Die Rolle von HR bei eskalierenden Konflikten in Unternehmen - Ein Gastbeitrag von Katharina Yombi

Nicht immer sind sich alle grün. In stressigen  Unternehmensphasen, wenn private Probleme auftauchen oder wenn die Meinung eines anderen Mitarbeitenden einfach nervt, kann es sogar schlimmer als grün werden – nämlich rot.

Wenn Konflikte im Job auftreten, geht es meistens darum, dass sich mindestens eine Person an dem Verhalten oder der Meinung einer anderen Person stört, dies mit dem Gegenüber nicht bespricht und die Bewältigung der gemeinsamen Aufgaben immer mehr beeinträchtigt wird.

Dabei sind Meinungsverschiedenheiten, verschiedene Haltungen und Ziele, Sympathien und Antipathien völlig normal. Mehr noch: Sie sind für die Entwicklung von Organisationen notwendig. Schwierig wird es jedoch ab dem Moment, wenn die beteiligten Personen die Unstimmigkeiten nicht klären und das Gegenüber für die eigenen negativen Gefühle verantwortlich machen. Dann schwelen Irritationen vor sich hin, übertragen sich auf andere im Team und können eskalieren. In diesen Fällen sind Konflikte destruktiv für die Zusammenarbeit

Das ist nicht nur für die Beteiligten anstrengend, sondern für das ganze Unternehmen nachteilig. Ungeklärte Konflikte sind immer kostenintensiv und können – beispielsweise bei Familienunternehmen oder jungen Gründungen – sogar existenzbedrohend sein. 

Was aber tun, wenn’s brennt? Und noch wichtiger: Wer tut es?

Oft wird die Feuerwehr in Form der HR-Mitarbeiter:innen gerufen. Sie werden dann in die Moderation zwischen den Beteiligten hinzugezogen. Das Problem: Häufig fehlt ihnen ein Grundlagentraining in Konfliktmanagement. Ein Basis-Werkzeug, das sehr weiterhelfen kann, gebe ich in diesem Gastbeitrag an die Hand.

Das Eskalationsstufenmodell nach Friedrich Glasl

Um Konfliktdynamiken besser analysieren zu können und geeignete Lösungsansätze zu finden, ist u.a. das Eskalationsstufenmodell von dem österreichischen Psychologen Friedrich Glasl spannend.

Glasl geht davon aus, dass Konflikte neun Eskalationsstufen durchlaufen. Ein Konflikt sollte nach ihm so früh wie möglich deeskaliert werden, um eine Verhärtung zwischen den Konfliktparteien auszuschließen. Denn Verhärtungen erschweren die konstruktive Auseinandersetzung und Lösungsfindung.

Die neun Stufen unterteilt Glasl noch einmal in drei Phasen, die den Verlauf ansteigender Emotionen und schädlichem Verhalten zwischen den Beteiligten symbolisieren. Diese drei Phasen schauen wir uns jetzt genauer an.

Quelle: Visualisierung der Eskalationsstufen angefertigt für ein Führungskompetenz-Training | Kooperation mit SO Systemische Organisationsentwicklung Soencksen & Teilhaber GmbH | September 2020 (https://sir-rico.de/ruestzeug-16)

Phase 1: Sachthemen und interne Konfliktlösung

Der entstehende Konflikt dreht sich um Sachthemen (Sachkonflikt), die Mitarbeitende unterschiedlich bewerten. Die verschiedenen oder gegensätzlichen Meinungen sorgen dafür, dass erste Irritationen und Spannungen auftreten.

Ein Beispiel: 

Eine Führungskraft verlässt das Unternehmen und es braucht einen nachfolgenden Teamlead. Drei Personen stehen zur Auswahl. Keiner der drei Beteiligten weiß Genaueres über die Kriterien oder den Ablauf der Beförderung. Deshalb und durch die entstandene Führungslücke sind sie unsicher, welche Maßstäbe angelegt werden und ob sie eine realistische Chance auf eine Beförderung haben. Interesse an der Beförderung haben zwei der drei Kolleg:innen – nennen wir sie Albert und Beth. 

Zu Beginn der Eskalation treten erste Spannungen auf, es kommt häufiger zu angespannten Diskussionen in Teammeetings und zu einer Verhärtung zwischen Albert und Beth in deren Körpersprache. Es entstehen erste Momente  der Irritation, die eine  Polarisierung anstößt: Zum Beispiel geht Albert demonstrativ mit den anderen Teammitgliedern in die Mittagspause, ohne Beth zu fragen, ob sie mitkommen möchte. Der dritte Teamkollege ist sehr irritiert durch die angespannte Atmosphäre und meldet sich häufiger krank, um der Situation nicht ausgesetzt zu sein.

Die Klärung des Konflikts könnte durch Albert und Beth selbst initiiert werden oder etwa durch den beeinträchtigten Kollegen, Personalverantwortliche, Teamlead oder andere Führungskräfte, denen die Beteiligten vertrauen. HR-Manager:innen können Albert und Beth einzeln ansprechen und sie dazu ermutigen, ein klärendes Gespräch miteinander zu suchen. Sie könnten auch eine Moderation anbieten.

Da es um ein Sachthema geht (die Beförderung) und die Beteiligten sich insgesamt noch mit Wohlwollen gegenüberstehen, können sie die Meinungsverschiedenheiten auf diese Weise klären und von den erarbeiteten Lösungen profitieren – eine Win-win-Situation für beide.

Phase 2: Aus Sachkonflikt wird Beziehungskonflikt

Wird der Konflikt in Phase 1 nicht geklärt und die Dynamik nicht unterbrochen, entwickelt sich aus einem Sachkonflikt ein Beziehungskonflikt. Jetzt ist eine Konfliktbearbeitung durch externe Vermittlung ratsam, denn die Beteiligten denken in einem Win-lose-Szenario und schaden einander. Das bedeutet: Für sie  geht es nicht mehr so sehr darum, die Situation zu entschärfen und Einigung zu finden, sondern darum, recht zu behalten und die Auseinandersetzung zu gewinnen.

Da in der Wahrnehmung der Beteiligten nur eine Seite gewinnen kann, wird damit begonnen, sich Verbündete zur Unterstützung zu holen, die andere Partei zu degradieren, moralisch zu beschädigen und/oder ihr zu drohen.

Bei Albert und Beth könnte das so aussehen:

Albert versucht, die aktuelle Führungskraft für sich zu gewinnen und davon zu überzeugen, die Beförderung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Seine Strategie ist es, mit der Führungskraft Kaffee trinken zu gehen und beiläufig zu erzählen, welche Arbeitsabläufe aktuell bei Beth nicht optimal laufen. Außerdem lässt er die Möglichkeit offen, selbst ein Angebot eines anderen Unternehmens anzunehmen, sollte er nicht befördert werden. Damit baut er eine Drohkulisse auf. 

Die Performance des dritten Kollegen sinkt weiter und er ist frustriert, dass sich die Konfliktspirale weiterdreht – ohne konkrete Verantwortungsübernahme der Beteiligten oder der HR-Partner zu sehen.

In dieser Phase spitzt sich die Auseinandersetzung zu. Die Beteiligten verlieren eine logische und sachliche Haltung füreinander und gegenüber den Themen. Sie sind nicht mehr in der Lage, Vertrauen und Wohlwollen für das Gegenüber aufzubringen, bewahren sich jedoch noch eine gewisse Selbstbeherrschung.

Für die HR-Verantwortlichen ist es ratsam, eine externe Person zu involvieren, da diese unbefangen ist, sich von der angespannten Situation nicht irritieren lässt und keine Eigeninteressen bei einer möglichen Lösung des Konflikts verfolgt. Ein:e Mediator:in kann beispielsweise beraten, welche nächsten Schritte erfolgversprechend sein können. Mediator:innen können mit emotional aufgeheizten Situationen gut umgehen, Gespräche zielführend moderieren und dabei helfen, das Vertrauen der Beteiligten ineinander wiederherzustellen.

Entscheiden sich die Beteiligten für eine Mediation, unterstützt der/die Mediator:in sie dabei, ihre eigenen Perspektiven und die dahinter liegenden Motivationen zu teilen. Außerdem leitet der/die Mediator:in dazu an, auch die Perspektive des anderen zu hören. Im Idealfall entwickeln beide Parteien Verständnis füreinander und können gemeinsam Lösungswege für die Situation erarbeiten, die verbindlich festgehalten werden.

Phase 3: Vertrauen ist verspielt und Konfliktbearbeitung ist nur noch durch Machtmittel möglich

Bleibt der Konflikt durch die fehlende externe Moderation unbearbeitet, gleitet der Beziehungskonflikt in eine unklärbare Auseinandersetzung ab. Diese ist geprägt durch Abwertung des Gegenübers, Verletzung, Demütigung und/oder Verwerfung.

Die Beteiligten befinden sich in einem Lose-lose-Szenario, was bedeutet, dass beide Seiten nur verlieren können. Warum? Weil die Beteiligten ihrem Gegenüber so weit wie möglich schaden möchten und dafür sogar die Beschädigung ihrer eigenen Reputation in Kauf nehmen. In diesem Zusammenhang verlieren sie ihre Selbstbeherrschung, zeigen ungezügelte Emotionen und überwerfen sich – häufig auch mit Personen, die ihnen bislang Unterstützung angeboten haben.

Im Arbeitskontext wird eine nachhaltige Klärung solcher Auseinandersetzungen immer aussichtsloser, da sie ein zu hohes Maß an Kooperation voraussetzt, das die Beteiligten nicht mehr aufbringen können. Die HR-Verantwortlichen müssen dann häufig mit Freistellungen, Versetzungen, Abmahnungen oder Kündigungen arbeiten. Dies zieht wiederum hohe Folgekosten nach sich. 

Diese Phase bei Beth und Albert:

Die Beförderung wird aufgrund diverser fachlicher Gründe zugunsten von Beth entschieden und Albert beginnt, Beth offen und unverblümt zu schaden und als Führungskraft zu missachten. Es versucht, sie vor anderen bloßzustellen, ihr wichtige Informationen vorzuenthalten und durch daraus entstehende Patzer zu beweisen, dass die Entscheidung die falsche war. 

Um sich zu wehren, beginnt Beth nun ebenfalls schlecht über Albert zu sprechen, fachliche Schwächen öffentlich zu machen und ihn zu meiden, indem sie die wöchentlichen Calls zur Abstimmung immer wieder verschiebt und ausfallen lässt. 

Das HR-Team bleibt zögerlich und bietet ausschließlich interne Moderationen an, die jedoch nicht die eigentlichen Themen der Unstimmigkeiten (“die Themen hinter den Themen”) beleuchten. Nach monatelangem Aufreiben und der Unmöglichkeit, den Konflikt selbst oder durch interne Hilfe in den Griff zu bekommen, sind schließlich Albert und Beth von den anhaltenden persönlichen Verletzungen so ermüdet, dass sie beide verbittert und desillusioniert kündigen. Ein personelles, kulturelles und wirtschaftliches Debakel für das Unternehmen. 

Hilfreiches Modell zur Analyse der Konfliktdynamik und Eingriffsmöglichkeiten

Bei Konflikten ist es wichtig, dass die Beteiligten selbst eine Lösung initiieren oder durch andere darin unterstützt werden. Handelt es sich um einen Sachkonflikt, kann diese Unterstützung gut durch HR-Mitarbeitende oder erfahrene Führungskräfte mit Fähigkeiten im Konfliktmanagement erfolgen.

Je mehr Emotionen bei den Beteiligten im Spiel sind, also je persönlicher die Auseinandersetzung wird (Beziehungskonflikt), desto ratsamer ist es, die Konfliktlösung durch Externe zu begleiten – beispielsweise durch Mediation, Konfliktlösungsberatung oder ein Konfliktcoaching mit den einzelnen Beteiligten. Bei vielen Beteiligten sind Teammediationen und Retrospektiven möglich. 

Solche Experten:innen helfen den Beteiligten dabei, den Beziehungskonflikt zurück auf eine Sachebene zu bringen. Sie ermutigen dazu, die eigene Perspektive zu schildern, Bedürfnisse wie Wertschätzung oder Fairness bei sich selbst und anderen anzuerkennen, im Verlauf auch Verständnis für die andere Seite zu entwickeln und dann einen gemeinsamen Lösungsweg zu finden.

Konflikte sind für die meisten Menschen sehr unangenehm und bedrohlich, aber per se nichts Nachteiliges. Unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen sind Reibungspunkte, die Unternehmen dabei helfen können, sich und ihre Fehlerkultur weiterzuentwickeln. Das Entstehen und Durchspielen von Konflikten bis hin zu einer gemeinsamen Lösung verbessert Prozesse und Policies. Und nicht zuletzt stärkt eine achtsame und erfolgreiche Konfliktlösung das Vertrauen der Mitarbeiter:innen in die Organisation: Sie wissen, dass sie auch in schwierigen Situationen von ihren Führungskräften bzw. dem ganzen Unternehmen unterstützt werden. 

QuellenVisualisierung des Eskalationsmodells angefertigt für ein Führungskompetenz-Training | Kooperation mit SO Systemische Organisationsentwicklung Soencksen & Teilhaber GmbH | September 2020 (https://sir-rico.de/ruestzeug-16)

Über Katharina Yombi Katharina Yombi hat rund 10 Jahre Erfahrung als Personalmanagerin in Digitalunternehmen gesammelt und ist zertifizierte Mediatorin. Sie begleitet For-Profit- und Non-Profit-Organisationen mit Mediationen, Coachings, Beratungen und Gruppentrainings dabei, robuster und souveräner mit ungelösten Spannungen umzugehen. Zu ihren Kunden gehören Scholz & Friends, Babbel, Choco, CareerFoundry, Kontist, AroundHome und die Technische Universität Berlin. Sie bietet regelmäßig kostenlose Basistrainings speziell für Personaler:innen an. Das nächste Training findet am 23.11.2023 statt – anmelden kann man sich über die Homepage. 
Hier geht es zu Katharinas Homepage und ihrem LinkedIn-Profil

Shortcuts

Konflikte sind normal, aber kostenintensiv: Konflikte entstehen meistens durch Meinungsverschiedenheiten, verschiedene Haltungen und Ziele. Werden sie nicht gelöst, entstehen hohe finanzielle und manchmal auch persönliche Kosten.

Emotionen in Konfliktsituationen: Je mehr Emotionen bei den Beteiligten im Spiel sind, desto ratsamer ist es, die Konfliktlösung durch Externe zu begleiten.

Konfliktlösung: In unterschiedlichen Konfliktphasen braucht es auch unterschiedliche Lösungsstrategien.

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