Über DAOs: 7 Fragen an Nelli Quakernack & Prof. Dr. Jan Christopher Pries

Dezentralisierte Autonome Organisation, Organisationsentwicklung und die Rolle des Leadership Teams

Schon mal von der Organisationsform DAO gehört? Nach Nelli Quakernack und Prof. Dr. Jan Christopher Pries sind DAOs der neue „hot stuff“ am Organisationshimmel. DAO steht für Dezentralisierte Autonome Organisation – eine Organisation ohne Festanstellungen und hierarchisches Management. Entscheidungen werden von den Mitgliedern per Votingverfahren getroffen. Regeln, nach denen die DAO agiert, werden in einem autonomen Open-Source-Code auf der Blockchain festgeschrieben. Aktive Mitgliedern werden via Tokens Anteilsinhaber:innen der Organisation. Weil Nelli Quakernack und Prof. Dr. Jan Christopher Pries über DAOs forschen, haben wir sie genau dazu befragt. Here we go!

Nelli und Jan, seit wann beschäftigt ihr euch mit dem Thema DAO?

Jan: Im August 2021 haben wir angefangen. Nelli hatte sich schon länger damit befasst, weil sie einen Kunden hatte, der eine DAO-ähnliche Organisation aufgebaut hat. 

Nelli: Ich hatte Jan von meinem Kunden erzählt, ein Designkollektiv, das mit Mitgliedern auf der ganzen Welt remote arbeitet. Das fand ich interessant. Das Designkollektiv besteht aus einem Gründungsteam und einer Freelance-Community, die Strategie, Branding und UX/UI Design für web3 Produkte anbieten.

Von Anfang an war ich von der Idee sehr überzeugt und wollte in und  an der Organisation dieser Freelance-Community mitarbeiten. So eine Arbeit hatte ich bis dato nur im Kontext von Festanstellungen gemacht. Ich fand es spannend, dass die Freelancer:innen beteiligt werden, mit Anteilen – ähnlich der virtuellen Anteile, die man aus dem Startup-Umfeld kennt. Das habe ich Jan erzählt und wir beschlossen, uns damit zu beschäftigen.

Was findet ihr an eurer Forschung besonders spannend?

Jan: Mich interessiert die Frage: Was entsteht als Nächstes? Dass man nicht immer den Status quo optimiert, sondern sich fragt: Was kommt auf uns zu? Und da ist eine DAO eine Organisationsform, die ich so noch nicht gesehen habe. Es ist technologisch hochinnovativ und impliziert z. B. auch ganz andere Führungsformen, Beteiligungsmodelle und HR-Verständnisse. Also alles, was ich in meiner Lehre mache im Hinblick auf Arbeitspsychologie, Personalpsychologie und Organisationspsychologie. 

Nelli und ich haben uns gesagt: An DAOs  lernen wir Organisationen ganz neu zu denken, weil DAOs  an den Grundfesten unseres Verständnisses von Erwerbsarbeit und Organisation rütteln. In diesem Paket habe ich das so noch nicht gesehen.  Das hat mich total mitgenommen und begeistert. Mit der Zeit sieht man auch die Schatten, die diese Dinge werfen: Aber im Moment steht der Kasten für mich noch in der Sonne.

Nelli: Als Arbeitspsychologin frage ich mich schon immer: Wie kommt die einzelne Person zu einer guten Arbeit in ihrem Leben? Da hat die DAO einen Punkt berührt, bei dem ich dachte: Ist das eine Organisationsform der Zukunft? Gerade im Hinblick auf das radikale Beteiligungsmodell und die Verteilung von Macht und Entscheidungsbefugnissen. Da war für mich auf den ersten Blick spannend: Gelingt es in einer DAO vielleicht ganz anders, Menschen über Beteiligung und Verteilungssysteme zu motivieren als in den klassischen Organisationen? Auf den ersten Blick scheint die DAO das einzulösen. 

Das war der Moment, an dem ich gesagt habe: Damit möchte ich mich stärker beschäftigen. Insbesondere, weil ich das ganze Thema Recruiting und Fachkräftemangel auch aus meiner Perspektive als HR-Generalistin kenne und die Frage spannend finde: Schafft es eine DAO vielleicht anders als traditionelle Organisationen, die Talente der Zukunft für sich zu gewinnen? Darüber, dass die Menschen eine relative Freiheit genießen, aber an den Entscheidungsprozessen beteiligt sind und an dem, was die DAO erwirtschaftet. Also: Können wir die Leute mit der DAO besser motivieren? Wenn ich es herunterbreche, ist das die zentrale Frage. Ob die DAO ein Sehnsuchtsort für die nächsten Generationen von Talents sein kann.

Wie sieht der Aufbau einer DAO aus? Wer legt die Regeln fest?

Nelli: Die ideale DAO ist noch ein sehr idealtypisches Szenario: Eine oder mehrere Personen wollen eine Idee zum Leben erwecken. Sie versuchen, Leute hinter sich zu versammeln und bauen dann eine DAO auf, indem sie sagen: Es gibt bestimmte Regeln, die wir gemeinsam in Abstimmungsprozessen festlegen wollen. Das so entstehende Regelwerk – man kann sich das wie einen Gesellschaftsvertrag vorstellen – wird auf der Blockchain codiert. Ein Grund, warum das nicht mit einer Notarin, sondern auf der Blockchain gemacht wird: Weil die Mitglieder dann flexibler sind, wenn es darum geht, die Eigentumsverhältnisse anzupassen, wenn z. B. neue Mitglieder dazukommen oder Leute die DAO verlassen. Wenn der Gesellschaftsvertrag einmal im Code programmiert wurde, dann läuft dieser Code autonom. Das heißt, er ist unabhängig von der Stimmung irgendwelcher Führungskräfte. Es braucht kein menschliches Einwirken und ist auch nicht abhängig davon.

Abgestimmt wird z. B. wie neue Mitglieder aufgenommen werden, also wer das entscheidet oder was sie qualifiziert. In manchen DAOs können sich neue Mitgliedereinkaufen, indem sie Anteile und damit Stimmrechte erwerben. Auf diese Weise wird die Community größer. Die Leute, die Anteile haben, arbeiten oft auch aktiv in der DAO mit. Das Phänomen des stillen Teilhabens gibt es in der idealtypischen DAO eher selten. Die Personen, die beteiligt sind, arbeiten und entscheiden mit. 

Jan: Der Aufbau der DAO ist ein basisdemokratischer Prozess im Team. Das kenne ich anders aus Spin-offs und Startups. Da kommt die Idee und Struktur häufig aus der Unternehmensspitze und auf Teamebene wird weggearbeitet. Bei einer DAO bestimmt die Gruppe auch die  Mission, die sie in die Welt tragen will. Und das heißt auch: mit all dem nervigen Kram, der mit basisdemokratischen Idealen einhergeht, wie z. B. langsame Entscheidungen und kontroverse Diskussionen führen. 

Wie sieht die Zusammenarbeit innerhalb einer DAO aus? Was unterscheidet sie von einem „klassischen“ Startup?

Jan: DAOs arbeiten häufig mit Teilzeitstellen. Als Mitglied wirke ich in verschiedenen Organisationen gleichzeitig mit – in einem recht engen Kompetenzspektrum. Ich mache das, worin ich am besten bin. Es ist in etwa so: Ich bin an verschiedenen Startups beteiligt und schmeiße nicht nur für ein einziges meinen Hut in den Ring. 

Wenn man sich die Mitglieder von DAOs ansieht, fällt auf, dass viele noch einen Halbtagsjob in der „alten Welt“ haben. Sie haben einen Anstellungsvertrag und arbeiten als Freelancer bei einer oder mehreren DAOs mit. Wie das in fünf Jahren aussieht, wissen wir nicht. Vielleicht haben die Leute dann ihre Stellen aufgegeben und beteiligen sich stattdessen an zehn DAOs. 

Nelli: Ich denke auch immer an die Psychologie der einzelnen Personen, das spielt eine große Rolle. Wenn ich weiß: Ich komme in ein Startup, dann haben in der Regel wenige Leute die zentrale Verantwortung. In einer idealtypischen DAO ist der Aufbau so gedacht, dass alle gleich viel Verantwortung tragen. Für mich macht die Vorstellung, dass ich z. B. am nächsten Montag in einer DAO anfange, einen riesigen Unterschied zu: Ich werde als Freelancerin von einem Startup gebucht und das zahlt mir Geld für meine Zeit. In der DAO halte ich Anteile und bin beteiligt an allen Entscheidungsprozessen. 

Jan: Ein weiterer Unterschied: Eine DAO funktioniert auch ohne juristische Person in Deutschland. Alles, was man braucht, ist eine Etherium-Adresse. Die DAO kann dann entscheiden, aus juristischen Gründen auch noch eine Gesellschaftsform eintragen zu lassen. Ich persönlich würde dazu raten, um juristische Probleme zu vermeiden. 

Und ich will noch mal anschließen an das, was Nelli gesagt hat. Die Wette der DAO ist: Ich binde Talente über das Versprechen einer neuen Organisationsform. DAOs gehen in ein starkes Spannungsverhältnis hinein, weil Retainment von den Talenten in der DAO-Welt viel schwieriger wird als in einer Organisationswelt, die auf Anstellungsverträge setzt. Da bin ich sehr gespannt, wie es der Masse von DAOs gelingen wird, ihre Mitglieder zu binden. Sie haben ja erst mal nichts in der Hand, um Personen zu halten, außer die Faszination für die DAO.

Was bedeutet Führung in DAOs?

Jan: Wenn mit Führung Hierarchie gemeint ist, sagt die Theorie: DAOs sind hierarchiefreie Organisationen. Damit verschwinden aber die Führungsaufgaben nicht. Die bleiben. Für mich eine der spannenderen Fragen in dem Kontext ist: Wer bringt in DAOs die kreativen, strategischen Impulse ein? Das Tagesgeschäft ist das eine, da wird bspw. Mittelmanagement nicht unbedingt gebraucht. Aber wo kommt die Kraft her, eine Strategie in eine Gruppe hineinzubringen und durchzusetzen? 

Und wenn alle Teilzeit beteiligt sind: Wer geht das Risiko ein, diese Kraft einzubringen und die Gruppe in eine neue Mission zu führen? Ich glaube, viele DAOs werden sich auflösen. Ich vermute, wir werden mehr Auflösungen von Organisationen sehen in der DAO-Welt, als wir es bisher kennen, weil diese Führungsrolle nicht immer eingenommen werden wird. 

Nelli: Wenn Führung auch heißt, festzulegen, wie Entscheidungen getroffen werden, um z. B. Komplexität zu reduzieren, dann ist diese Entscheidungsmacht in meiner Fantasie verteilt und funktioniert über ein Voting System. Wenn eine DAO schnell größer wird, weil das Thema funktioniert und viele neue Mitglieder anzieht, könnte man sagen: Es gibt bestimmte Bereiche, in denen braucht es eine gewisse Expertise. Deshalb geben wir die Entscheidungsbefugnis über einen bestimmten Themenbereich an eine bestimmte Person. Diese Person trifft Entscheidungen in Zukunft alleine. Es hängt also nicht an einer Führungskraft, sondern die Gruppe entscheidet gemeinsam und legt fest, wie Entscheidungen getroffen werden.

Jan: Die Beschlüsse über die Entscheidungsmacht werden in den Code integriert. In der idealtypischen DAO werden viele Entscheidungen autonom durch den Code getroffen. Führungsverantwortung rutscht somit  in den autonom operierenden Code. Das ist natürlich anders, als wir es bisher in Organisationen sehen. Es sind erste Gehversuche auf dem Feld, so etwas umzusetzen. Die Vision der DAO besteht darin, dass Entscheidungen autonom  durch den Code getroffen werden w.  Ich glaube, das Chaos, das es in den gegenwärtigen DAOs häufig gibt, gibt es auch, weil noch nicht genug Klarheit über autonome Entscheidungen des Codes hergestellt wird. 

Gibt es noch Personalarbeit innerhalb der DAOs? Und wenn ja: Wie sieht sie aus?

Nelli: Es gibt dafür andere Begrifflichkeiten. Ein großer Begriff, der „HR“ zu ersetzen scheint, ist der Begriff „Community Management“ oder „Community Operations“. In DAOs gibt es eine andere Betrachtung der Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. Man versteht sich als Community, die sich um einen gemeinsamen Zweck herum organisiert. 

Ich selbst verstehe mich als Gestalterin von Talent Experiences. Aus dieser Perspektive würde ich sagen, eine wichtige Erfahrung, die im Rahmen vom Community Management bspw. gestaltet werden muss, ist das Onboarding. Wenn eine neue Person reinkommt, braucht es Klarheit über die Regeln für die Zusammenarbeit: Wie wollen wir miteinander umgehen? Was sind die Orte, an denen wir uns treffen und an denen ich mit anderen DAO-Mitgliedern in Kontakt kommen kann? Welche Prozesse gibt es schon für das, woran ich arbeiten möchte? Wie funktioniert das Voting? Und gibt es Expert:innen in der DAO, die sich auch in Sub-DAOs organisieren und für bestimmte Dinge zuständig sind? 

All das müssen neue Mitglieder erfahren. Das ganze Thema Vertragswerk rund ums Anstellungsverhältnis, das wir kennen, fällt  – mehr oder weniger – weg. Und dann geht es weiter. Dann ist im nächsten Schritt die Retention im Sinne von aktivem Community Management wichtig. 

Jan: Im Sinne von Retention ist der Aufbau einer Bindung zwischen den Mitgliedern und  der DAO zentral. Das wird eine größere Aufgabe als das, was wir aus klassischen Präsenzorganisationen mit Anstellungsverträgen kennen. Bindung  in einem Kontext herzustellen, in dem man nur noch in einem Chat unterwegs ist und die Leute sehr unregelmäßig sieht, stellt eine Herausforderung dar. Der Fokus wird stärker auf der Bindungsgestaltung zwischen neuen Mitglied und der übrigen Community liegen. 

Was lässt sich von DAOs lernen und auf die Organisationsentwicklung übertragen?

Nelli: In einem Podcast rund um das Thema DAOs hat jemand gesagt: „Versucht nicht, web2-Geschäftsmodelle in DAOs – also in die web3-Organisation – zu bringen. Sondern überlegt: Welche Geschäftsmodelle machen DAOs eigentlich erst möglich?“ Die Frage finde ich spannend. Was kann man in einer DAO besonders gut organisieren, was unsere traditionellen Organisationsformen nicht hergeben? Das ist die Frage, an der Jan und ich gerade tüfteln. 

Mich zieht am stärksten das Beteiligungsmodell an. Also, dass ich über die Beteiligung dieEntscheidungsmacht mit Anderen teile, auch bei komplexen Fragestellungen. Eine DAO kommt eventuell zu smarteren Lösungen, weil sich mehr und verschiedene Perspektiven beteiligen.Anders gesagt: Wenn ich eine traditionelle Organisation bin und dringenden Bedarf an Innovation in einem bestimmten Bereich habe, könnte ich mir Expert:innen holen, die sich dann in einer DAO organisieren. Dadurch sind die Expert:innen möglicherweise ganz anders investiert und können das Thema freier angehen, als wenn sie im Rahmen der traditionellen Organisationen Weisungen erhalten. Das könnte wie so ein Organisationsmodell für Innovationsprojekte sein.

Jan: Genau, das ist dann eine Idee von Co-Creation gepaart mit der Beteiligungsidee. Expert:innen  co-createn imit und erspielen oder erwirtschaften sich Anteile an der DAO. Ein ähnlicher Gedanke für die Attraktion von Mitarbeitenden ist, dass man potentiellen Mitgliedern sagt: „Nimm an unserem Bewerbertag teil, lad doch mal deinen Lebenslauf hier hoch und du bekommst eine kleine Beteiligung an der Organisation. Ein weiterer Aspekt von dem man sich inspirieren lassen kann ist die Attraktivität einer gelebten Mission. In  DAOs schwirren die Leute um ihre  gemeinsame Mission, bringen ihre Kraft ein und ziehen Geld daraus. In einer DAO ist dies das zentrale Moment, das die Mitglieder zusammenbringt.. Das ist für mich ein Aspekt der mich fasziniert, wo ich denke: Wow, so kann man Zusammenarbeit auch motivieren.

Und ein weiterer Gedanke: Wenn es um basisdemokratische Entscheidungen geht, kann man von DAOs lernen, wie man diese effizient gestalten kann. Und wie man Klarheit darüber erreicht, wer wann und wie stimmen darf und wie die Fragen gestellt werden sollten, über die abgestimmt werden soll. Da wird man im DAO-Umfeld in kurzer Zeit viel weiter sein als eine Organisation, die so etwas nur alle drei Jahre mal macht. 
Nelli: Die Governance ist bei DAOs auch sehr transparent. Was gerade zur Abstimmung steht oder mit welcher Abstimmungsform abgestimmt wird, kann man bei vielen DAOs auch online einsehen.

Über Nelli Quakernack und Prof. Dr. Jan Christopher Pries

Nelli Quakernack

Nelli Quakernack ist Diplom-Psychologin und Systemische Coachin, die mit ihrer jahrelangen Erfahrung in der Digitalwirtschaft, in Startups und in der Kreativwirtschaft Unternehmen zu Themen rund um People & Culture berät.

 

Prof. Dr. Jan Christopher Pries

Prof. Dr. Jan Christopher Pries ist Professor für Organisations- und Personalpsychologie an der Hochschule Emden/Leer. Er ist Gründer der Journey to Agility und hat Zusatzausbildungen in systemischer Organisationsberatung, zum Certified Agile Practitioner und in Design Thinking.

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